Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Hiob streitet

Predigt am 3. August 2008 über Hiob 2,11-13 und 3,1.2a.20-26

 

Der biblische Text:

11 Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie waren eins geworden hinzugehen, um ihn zu beklagen und zu trösten. 12 Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt 13 und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.
1 Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. 2 Und Hiob sprach:
20 Warum gibt Gott das Licht dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen 21 – die auf den Tod warten, und er kommt nicht, und nach ihm suchen mehr als nach Schätzen, 22 die sich sehr freuten und fröhlich wären, wenn sie ein Grab bekämen –, 23 dem Mann, dessen Weg verborgen ist, dem Gott den Pfad ringsum verzäunt hat? 24 Denn wenn ich essen soll, muss ich seufzen, und mein Schreien fährt heraus wie Wasser. 25 Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen. 26 Ich hatte keinen Frieden, keine Rast, keine Ruhe, da kam schon wieder ein Ungemach!

 

Liebe Gemeinde,

Hiob findet einen Weg, mit dem Leiden umzugehen: Er streitet und er betet. Wahrscheinlich lässt sich beides gar nicht voneinander trennen und findet auch nicht so nacheinander statt, wie das die zweite und dritte Predigt in der Reihe zum Buch Hiob vielleicht nahe legen, sondern gleichzeitig, nebeneinander. Und wahrscheinlich hat das Beten bei Hiob auch eine Menge mit Streit und Klage zu tun. Aber um auch für uns Hinweise zu bekommen, wie wir mit Leid umgehen können, macht es für mich Sinn, heute in dieser Predigt zu fragen, wie Hiob sich mit anderen Menschen, seinen Freunden, auseinandersetzt und am nächsten Sonntag genauer hinzuschauen, wie er sich mit Gott auseinandersetzt. Eigentlich zweimal das gleiche Thema, aber der Blickwinkel ist jeweils anders. 

Hiob streitet mit seinen Freunden. Ein naheliegendes Mißverständnis möchte ich sofort beseitigen. Streit meint hier nicht zanken oder sich mehr oder weniger böswillig entzweien. Diese Form des Streites gehört auch in der Bibel zu den Dingen, die gemieden werden sollen. Streit meint hier dagegen eine Auseinandersetzung mit Worten, um mich selbst, andere, die Welt und das, was mir widerfährt besser und anders zu verstehen. Das ist dann Bruderliebe, oder besser: geschwisterliche Liebe, so wie wir das eben in der Lesung gehört haben  (Joh. 4,7-12.19-21)

In diesem Sinne streitet Hiob mit seinen Freunden. Über 30 Kapitel lang. Wir haben eben nur einen kleinen Ausschnitt gehört. Die Freunde reden nacheinander und legen Hiob ihre Sicht der Dinge vor, bieten ihm Erklärungsmöglichkeiten für das furchtbare Leid und Hiob antwortet jeweils auf die Freunde. Es ist ein Hin und Her, ein ständiges Ringen um die Frage: ist der Mensch verantwortlich für das Leid oder Gott? Die Freunde tendieren zu der Meinung, Leid ist immer eine Strafe, eine Konsequenz aus dem Verhalten des Menschen, Hiob weist dies unermüdlich zurück, sieht keine Schuld bei sich. Das ganze ist sehr wortreich, mit vielen Bildern und Beispielen ausgeschmückt, wogt hin und her. Am Ende bleibt Hiob nichts anderes übrig, als sich an Gott zu wenden, weil die Diskussion mit den Freunden nicht zu einem befriedigendem Ende führt.

Macht es dann überhaupt Sinn, zu streiten? Können wir das dann nicht gleich überspringen und sofort zum Gebet übergehen?

Nein. Zum einen deswegen, weil das hier ja ein literarisches Werk ist, dass wie ein Schauspiel aufgebaut ist und daher zunächst den Streit mit den Freunden und dann - wenn man so will - den Streit mit Gott beschreibt. In der konkreten Leidenssituation findet beides ja - wie eingangs gesagt -  gleichzeitig statt. Zum anderen aber deswegen, weil auch der Streit mit den Menschen nicht nur Hiob, sondern auch mich weiter bringt in der Suche nach Antworten, in der Suche nach Möglichkeiten, das Leid zu ertragen, zu verstehen, manchmal -  leider nicht immer - auch zu überwinden... 

Auf zwei Dinge möchte ich da heute besonders hinweisen.

Über das eine lesen wir schnell hinweg. Die Freunde hören von Hiobs Leid und kommen zu ihm. Das sind wirklich echte Freunde! Denn ich weiß, dass viele Menschen in Leiderfahrungen oft genau das Gegenteil erleben - ihre bisherigen Freunde ziehen sich zurück, haben Angst vor der Leidensgeschichte, können selber nicht mit dem Leid umgehen... Hiobs Freunde sind anders und wohl dem oder der schon mal, der oder die solche Freundinnen und Freunde hat und die kommen, wenn´s mir dreckig geht. Noch mehr Wohl dem aber, dessen Freundinnen und Freunde dann nicht gleich losplappern mit Mitleidsbekundungen oder gutgemeinten Ratschlägen, sondern die wie Hiobs Freunde erst einmal - schweigen. Sieben Tage und Nächte weinen sie, zerreißen ihre Kleider, werfen Staub auf ihren Kopf, versuchen, so deute ich das, äußerlich ein wenig Hiob ähnlich zu werden, seinen Schmerz ansatzweise zu teilen. Geredet, gestritten wird erst mal nicht. Und schließlich ist es auch Hiob, der das Schweigen bricht, nicht einer der Freunde.

Erich Kästner hat einmal den klugen Spruch geäußert: Man darf mit dem Trösten nicht zu früh anfangen. Da ist viel Wahres dran. Aber es ist auch schwer, schweigend das Leid des anderen sehen zu müssen. Alles drängt in mir danach, den Mund aufzumachen, das Leiden in Worte fassen zu wollen, begreifen zu wollen, helfen zu wollen. Und doch hilft das erst einmal so wenig. Es würde eher mir helfen, meine Ohnmacht zu überwinden, die Hilflosigkeit, die lauten Stimmen in meinem Kopf. Dem oder der Leidenden hilft das schweigende Mit-Leiden erst einmal viel mehr. Ich bin nicht mehr alleine, muss nichts sagen, aber auch nicht hören. Die Gegenwart des oder der anderen aber bringt mich schon auf neue Gedanken, mein inneres Zwiegespräch (das ja nie wirklich aufhört) verändert sich. Und wenn die Zeit reif ist, kann ich das Schweigen brechen und meinen Mund auftun - und es kann dann sein, dass erschreckende Sätze aus mir herausbrechen, so wie bei Hiob auch, dessen Leid so groß ist, dass er lieber nie geboren wäre...

Leiden im Schweigen gemeinsam er-tragen - das ist eine Möglichkeit, mit Leid umzugehen. Und es ist eine Form des Streits, wenn auch dieser zunächst nur im Kopf des oder der Leidenden stattfindet. Nein, stimmt nicht, auch in meinem Kopf. Aber wir reden nicht drüber, schweigend hängt jeder und jede den eigenen Gedanken nach... Wenn wir uns das merken und beherzigen könnten, dann würde eine Menge Leid gelindert werden...

Aber irgendwann ist das Schweigen zu Ende und es bricht vielleicht aus dem Leidenden heraus. Vielleicht hat er auch nicht solche schweigenden Freundinnen und Freude und das Gespräch beginnt schon schneller. Wohl dem, der solche Freunde hat, die dann mit mir streiten, nach einer Antwort suchen, nach Linderung suchen, vielleicht auch nach Lösungen, je nachdem, welcher Art mein Leid ist.

Was mache ich aber, wenn ich solche Freunde nicht habe? Oder sie mich mit guten Ratschlägen zutexten und gar nicht richtig zuhören? 

Auch dann bin ich keineswegs hilflos. Möglichkeiten gibt es viele. Ziel ist bei allem, mich auseinander zu setzen mit dem was mir widerfahren ist. Oder mit dem Leid, was ich bei anderen - bei Angehörigen, bei Freunden, aber auch weltweit - mehr oder minder mit ansehen muss. Leiden mit ansehen zu müssen, ohne handeln zu können - das lässt Menschen häufig auch furchtbar leiden. Und wenn ich mit dem Leid alleine bleibe, dann komme ich nicht auf neue Gedanken.

Was mache ich also, wenn es mir nicht vergönnt ist, solche Freunde zu haben, wie Hiob?

Mir fallen da eine ganze Reihe von Dinge ein. Sie klingen wahrscheinlich ziemlich banal, aber täuschen wir uns nicht, wenn es uns erst einmal erwischt hat, ist die Hemmschwelle oft groß, sich an andere zu wenden. Man will sie nicht belasten, fühlt sich vielleicht selber schuldig für das Leid, man traut sich nicht, oder meint, es alleine schaffen zu müssen.

Es gibt vieles. Hängt natürlich auch von der Art des Leids ab. Man kann den Arzt oder dem Pfarrer fragen, man kann bei der Telefonsseelsorge anrufen oder bei anderen telefonischen Hilfsangeboten. Ich selber sitze z. B. seit mehreren Jahren in den Sommerferien immer stundenweise an der sogenannten "Mobbing-Hotline NRW", die Menschen, die gemobbt werden, eine erste Anlaufstelle ist. Es gibt Selbsthilfegruppen aller Art, wo Menschen sich austauschen und so auf andere Gedanken kommen. Vielen ist es schon eine Riesenhilfe, wenn sie merken, es geht auch anderen ähnlich. Sie können lesen - Bücher gibt es wie Sand am Meer, zu jedem Thema der Welt. Das ist dann eine Art stilles Zwiegespräch. Ich lese, was ein anderer geschrieben hat und überlege, was ich dazu denke. Manchen hilft es auch, zu schreiben. Einen Dialog z. B. mit einem anderen Menschen, der grade nicht da ist, dem Sie aber vertrauen. Oder mit einem Menschen, den Sie sich ausdenken. Oder diskutieren Sie schriftlich mit dem - Leid ,das sie getroffen hat, lassen Sie es sprechen. Diese Form einer Auseinandersetzung ist sicher nicht für jedermann geeignet, aber etliche Menschen hat sie schon geholfen, weil manchmal Überraschendes geschieht. Genauso wie Malen oder ähnliche Formen, etwas auszudrücken. Ich erinnere mich z. B. an eine Ausstellung vor einiger Zeit, ich meine hier im Rathaus, wo eine Frau über eine lange Zeit furchtbare Erfahrungen in gemalten Bildern verarbeitet hat. Es war eine Reihe von aufeinander folgenden Bildern, der "Fortschritt" war sichtbar. Diese Bilder waren so eindrücklich, dass sie auch wieder anderen Betrachterinnen und Betrachter bei der Auseinandersetzung mit eigenem und fremden Leid geholfen hat.

Und dann gibt es natürlich auch ganz neue und sehr moderne Hilfe - das Internet. Zu fast jedem Thema finden sich nicht nur Informationen, sondern auch Angebote zur Diskussion. Ob es Krankheiten sind, Schuld, Trauer, Behinderung - Unterstützung und Dialog gibt es. Und wenn ich möchte, auch noch anonym. Für manch einen ist es hilfreich, seine Nöte jemandem mitzuteilen, der ganz weit weg wohnt. Ich habe das selber schon erlebt, wenn sich auf Predigten von mir, die im Internet nachzulesen sind, Menschen von was weiß ich woher melden, und auch manchmal mit sehr ernsthaften und schwerwiegenden Anliegen. Sie sagten: meinen Pfarrer kann ich da einfach nicht fragen, das geht nicht, aber Sie...

Streiten mit anderen über mein Leiden, über das Leid anderer, das mir - warum auch immer - zu schaffen macht. Hiob hat es geholfen und vielen anderen auch. Doch abschließend gefragt: was passiert eigentlich in dieser Auseinandersetzung? Letzten Sonntag habe ich gesagt, wir leiden alle unterschiedlich und ganz persönlich, weil das jeweilige Leid meine Vorstellungen von einem guten, glücklichen oder zumindest zufrieden machendem Leben stört oder gar zerstört. Und im Gespräch, im Streit, in der Auseinadersetzung überprüfe ich diese Vorstellungen, stelle sie in Frage. Was am Ende dabei herauskommt, kann niemand vorher sagen. Vielleicht bewerte ich Dinge anders und das Leid verliert seinen Schrecken oder auch nur Teil des Schreckens. Vielleicht aber stellt sich die Frage nach dem "Warum?" am Ende noch heftiger, weil die Sehnsucht nach dem verlorenen Glück noch stärker geworden ist... Oder weil die Antwortversuche der "Freunde" - welcher Art auch immer - mich nicht zufrieden stellen. Bei Hiob ist das nach den Gesprächen mit seinen Freunden so. Und da bleibt ihm nur noch eins: er wendet sich an Gott. Hiob betet. Das wollen wir am nächsten Sonntag gemeinsam bedenken.

Amen.